Veröffentlicht: 25.02.2018
Pastor Bödeker war ein umtriebiger, ein eindrucksvoller Mann. Am 15. Mai 1799 in Osnabrück als Sohn eines Lehrers geboren, studierte er an der Universität Göttingen Theologie, lehrte danach an einer Töchterschule, bevor er 1825 zunächst zweiter Pastor, dann erster Pastor an der hannoverschen Marktkirche wurde und dort bis 1884 wirkte. 1851 berief man ihn zum Senior des geistlichen Stadtministeriums, ein hoher Posten, der dem des heutigen Stadtsuperintendenten entspricht. Er mischte sich ein, in der Öffentlichkeit wie von der Kanzel, und das Volk liebte ihn dafür. Pastor Bödeker sprach volkstümlich, spontan, pathetisch und packend. Er riss Witze, was manchen Angehörigen der geistigen Elite irritierte. Aber es half, seine Anliegen durchzubringen und Geld für seine wohltätigen Vorhaben zu sammeln. Ein Weg dorthin war die Gründung des „Norddeutschen Morgenpromenadenbeförderungsvereins“, dem wohlsituierte Bürger angehörten. Man traf sich regelmäßig in der Gartenwirtschaft Lister Turm oder im Neuen Haus und brach von dort zu Waldspaziergängen auf. Eine Idee, die sich daraus entwickelte: 1854 ließ Bödeker 15 gusseiserne Engelskulpturen anfertigen, die sogenannten Bödekerengel, die über die Stadt verteilt die Bürger zum Spenden animieren sollten.
Drei dieser Engel sind auf den hannoverschen Stadtfriedhöfen in Stöcken, Engesohde und Kirchrode erhalten. Für seine Fähigkeit, große Spendensummen einzusammeln – fechten genannt–, erhielt Bödeker den Spitznamen „Reichsfechtmeister“ (Bild nächste Seite). Er nutzte die gespendeten Gelder gut, die Liste seiner ins Leben gerufenen wohltätigen Vereine und Institutionen ist lang: Die Marienstiftung zur Ausbildung mittelloser weiblicher Dienstboten, den Verein gegen Thierquälerei, der später in Thierschutzverein umbenannt wurde, das Asyl für unbemittelte alternde Jungfrauen des Mittelstandes, später Schwesternhaus genannt, das Rettungshaus für verdorbene Knaben, die Säuglingsbewahranstalt, die Heilanstalt für arme, kranke Kinder, das Feierabendheim für alte Männer, das Sabbathhaus für „Treue alte Dienerinnen“ und die Volksschullehrerwitwenkasse.
Vorbildlich kümmerte er sich um die Nöte von Mensch und Tier, hörte zu, ging mit offenen Augen durch die Welt. Grausamkeiten nicht nur an Pferden und Hunden, die als Zugtiere eingesetzt wurden, waren in seiner Zeit an der Tagesordnung. Schon vor der Gründung des Tierschutzvereinsvereins schrieb Bödeker im Jahr 1844 ein Heft „Über Thierquälerei“, das „in 4.000 Exemplaren gratis durch das ganze Land vertheilt wurde“.
Wir werden Ihnen hier die Details der aufgezählten Grausamkeiten im Schlachthof und auf den Straßen, brutale, fürchterliche Szenen, ersparen. Die Beobachtung aber ließ Bödeker handeln, er machte die Missstände publik und formulierte für den neugegründeten Verein gegen Thierquälerei folgende Ziele:
Fünfzig Männer und Frauen wurden gleich zu Beginn Mitglieder, durch Einschreibelisten und Öffentlichkeitsarbeit warb man weitere. Bödeker verstand sich hervorragend auf politische Einflussnahme und auf das was heute „Fundraising“ genannt wird. So schrieb er in einem Zeitungsartikel über die Anfänge des Vereins gegen Thierquälerei, dass der Verein gleich mit der Arbeit beginnen könne, da das Königliche Ministerium des Innern 50 Taler gespendet habe. Dasselbe nahm auch in ein neues Polizeistrafgesetz eine Bestimmung gegen Tierquälerei auf. Mit Stolz konnte Bödeker in seinem Rückblick auf das erste Jahr Vereinstätigkeit berichten, dass sich die Pferdeschinder schon umschauten, ob sie nicht etwa beobachtet würden, wenn sie ihre Pferde quälten und mißhandelten.
Bödeker lobte die Gesetzgebung, die sich endlich der Tiere annahm, forderte aber die Ausweitung des Geltungsbereichs, der sich auf in der Öffentlichkeit begangene Taten beschränkte. In diesem Sinne traf er Abkommen mit der Polizei, die durchaus kooperierte. Bödeker sagte über sich selbst, er sei der erste gewesen, der in Deutschland dafür gesorgt habe, dass die blinden, lahmen, geschundenen und anderen „vorzugsweise“ gequälten Pferde nicht mehr zur lebendigen Verfütterung an Blutegel verwendet wurden, sondern durch Schlachtung einen vergleichsweise humanen Tod fänden und den Menschen während der Hungersnöte 1846 und 1847 als zusätzliche Nahrung dienten. Es gelang Bödeker, Ämter und damit Kälberhändler davon abzubringen, das Vieh gefesselt und übereinanderliegend zum Schlachthof zu transportieren, sondern aufrechtstehend. Bei Hundefuhrwerken durften die Führer nicht mehr mit aufsitzen. „Auch ist der Unfug, der beim Ertränken von jungen Hausthieren, beim Bestrafen von Katzen, Pferden und Hunden, beim Schlachten von Kälbern, Schafen und Ochsen, beim Transportieren von lebendem Federvieh und Fischen getrieben wurde, einer milderen Praxis gewichen; man tödtet das größere Schlachtvieh häufiger durch einen Schuss ins Gehirn, durch einen Genickfang, man veranlaßt durch einen Schlag an geeigneter Stelle vor dem Abstechen Bewußtlosigkeit und vermindert somit die Empfindungsfähigkeit.“
Bödeker kann also als der Vater der modernen Schlachtgesetzgebung gelten, die damals eine Revolution darstellte, sich aber leider bis heute nur unerheblich weiterentwickelt hat. Aber auch der Schutz vieler anderer Tierarten lag ihm am Herzen. So berichtete er weiter, Singvögel hätten mehr Ruhe vor Fängern und Eierdieben, es würde wohl kaum noch eine Gans genudelt. Als Konsequenz und auch als Resultat der erfolgreichen Arbeit wurde der Verein gegen Thierquälerei in Thierschutzverein der Königlichen Residenzstadt Hannover umbenannt. Ziele: Nicht nur das Leben der Tiere zu schützen, sondern „sie sollen auch angemessen gefüttert, getränkt, gepflegt, bedeckt, gestallt, gestreuet, gewärmt werden“. Der Bau vieler Brunnen in der Stadt Hannover geht auf die Initiative des Thierschutzvereins zurück; sie sollten den damaligen Zugtieren, also Pferden und Hunden, als Tränken dienen.
Die dafür benötigten Mittel erhielt der Verein durch Mitgliederbeiträge und vom Innenministerium. Letzteres, also die Unterstützung durch staatliche Stellen, wäre auch heute eine große Hilfe. Bis zu seinem Tode am 5. Januar 1875 blieb Bödeker Vorstandsvorsitzender des Tierschutzvereins, er genoss großen Rückhalt in der Bevölkerung und Einfluss bei den Behörden. Zu seinen Nachfolgern gehörten so illustre Persönlichkeiten wie der Generalfeldmarschall Alfred von Waldersee und der bekannte hannoversche Publizist Ferdinand August Callin. Ein Nachruf des Hamburger Tierschutzvereines würdigte Bödeker: „In ihm verlor Hannover einen seiner edelsten Bürger, die Sache der Humanität einen seiner größten Förderer und der Thierschutz eine seiner besten Koryphäen.“ Heute erinnert ein Denkmal an der Marktkirche an Hermann Wilhelm Bödeker, eine Straße in Hannover trägt seinen Namen. Er hat es verdient.
Dieser Artikel wurde erstmals in der Struppi-Ausgabe 4/2016 veröffentlicht! Autor: Dr. Karola Hagemann, Mitglied des Vorstandes (Tierschutzverein Hannover).
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